Petrov Day (26. September)

Der 26. September ist der Tag zu Ehren Stanislav Yevgrafovich Petrovs, an dem wir uns einen Moment Zeit nehmen, uns daran zu erinnern, nicht die Welt zu zerstören.

Es war das Jahr 1983, und der Kalte Krieg hatte die Welt in seinem Griff. Am 1. September drang ein ziviles koreanisches Flugzeug in den sowjetischen Luftraum ein, reagierte aus damals unbekannten Gründen nicht auf Funkrufe, und wurde von ein sowjetischen Jets abgeschossen. 269 ​​Passagiere und Besatzungsmitglieder starben, darunter der US-Kongressabgeordnete Lawrence McDonald. Ronald Reagan nannte es “Barbarei”, “unmenschliche Brutalität”, “ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das niemals vergessen werden darf”. Die Lage zwischen den USA und der UdSSR war äußerst kritisch. Juri Andropov, Staatsoberhaupt der Sowjetunion, befürchtete, dass die USA einen nuklearen Erstschlag planten. Der KGB warnte vor einem möglichen Atomkrieg und bereite sich auf einen sofortigen, harten Gegenschlag vor.

Am 26. September 1983 war Oberstleutnant Stanislav Jewgrafowitsch Petrow der diensthabende Offizier, als kurz nach Mitternacht das Warnsystem einen Raketenstartmeldete. Petrov blieb zunächst ruhig und vermutete einen Computerfehler. Doch dann meldete das System einen weiteren US-Raketenstart. Dann einen weiteren. Und noch einen. Und noch einen.

Zu Petrovs Aufgabe gehörte es, das Satellitennetz zu beobachten und seine Vorgesetzten über jeden bevorstehenden Atomraketenangriff gegen die Sowjetunion zu informieren. Die Doktrin der “mutually assured destruction” verlangte, dass wenn die Frühwarnsysteme einen Raketenangriff meldeten, die Sowjetunion einen sofortigen nuklearen Gegenangriff gegen die Vereinigten Staaten (“Launch on Warning”) ausführen würden.

Im Kommandoposten ertönten Warntöne, Lichter blinkten auf, Offiziere bellten Befehle. Verschiedene Berichte beschreiben einen großen blinkenden Bildschirm des automatisierten Computersystems mit dem Wort “START”. Petrov hielt in einer Hand ein Telefon und im anderen das Intercom. Die Systeme meldeten fünf US-Raketen, die auf sowjetisches Territorium abzielten.

Die Strategie der Sowjetunion forderte einen sofortigen Start des Gegenschlags. Das Landradar der Sowjetunion war nicht dazu in der Lage, Raketen hinter dem Horizont zu erfassen – wollte man die Satellitenwarnung auf diese Weise verifizieren, würde das die Reaktionszeit auf nur Minuten herabsetzen, was nicht in Frage kam. Petrovs Aufgabe war es, die Meldung über die US-Raketen diekt an seine Vorgesetzen weiterzugeben, die entscheiden würden, ob sie einen Atomkrieg beginnen sollten.

Petrov wusste um die Konsequenzen seiner Entscheidung. Er wusste auch, dass ein tatsächlicher Erstschlag der USA höchstwahrscheinlich aus hunderten von Raketen bestehen würde, und dass die Satelliten-Warnsysteme neu und nicht vollkommen vertrauenswürdig waren. Er entschloss sich, die Welt nicht zu zerstören.

Petrov deklarierte die Starterkennung eigenmächtig als Fehlalarm, allein basierend auf seiner persönlichen Einschätzung der Lage.

Er hatte Recht. Es handelte sich um einen Fehlalarm, der durch Lichtreflexe an hohen Wolken ausgelöst worden war, die aus der Perspektive der Erkennungsssyteme mit der Position von US-Militärbasen übereinstimmten. In dieser Nacht trafen keine Raketen den Boden – weder auf der Seite der Sowjetunion, noch auf der der USA.

Nach dem Zwischenfall wurde Petrov zunächst beglückwünscht und für sein korrektes Handeln gelobt, man versprach ihm sogar eine Auszeichnung. Später wurde er gerügt, weil er das Protokoll verletzt hatte, in dem er keine minutiösen Aufzeichnungen angefertigt hatte. Da der Zwischenfall das sowjetische Militär in ein schlechtes Licht rückte, erhielt Petrov niemals eine Auszeichnung. Laut Petrov hätte ein Eingeständnis dazu geführt, dass die Wissenschaftler und seine Vorgesetzten im Militär für die Fehler hätten bestraft werden müssen. Petrov wurde auf einen weniger heiklen Posten versetzt, erlitt einen Nervenzusammenbruch, und beendete einige Monate später wegen schlechter Gesundheit seine militärische Karriere.

Sein Name wurde schnell vergessen und ist heute nur wenigen Menschen bekannt. Petrov lebte in sehr bescheidenen Verhältnissen, bis er 2017 starb.

Oleg Kalugin, ehemals Chef der Spionageabwehr im KGB, kannte das sowjetische Staatsoberhaupt Andropov gut, und seiner Einschätzung nach war er erfüllt von einem tiefen Misstrauen gegenüber der US-amerikanischen Regierung. Laut Kalugin war es sehr wahrscheinlich, dass der falsche Bericht über einen Raketenstart die sowjetische Führung zu einem Gegenschlag veranlasst hätte. Dank Petrov kam es nie dazu.

Vielleicht werden eines Tages die Namen von Menschen, die Atomkriege verhindern, so bekannt sein wie die von Popstars und Staatsoberhäuptern. Freuen wir uns auf eine solche Zeit, in der die Menschheit ein wenig weiser geworden ist, und feiern wir den Petrov-Tag.

Materialien:

Vorlage für ein Petrov-Day-Ritual (englisch), Grundkonzept: es werden Kerzen entzündet und reihum kurze Texte über Techologie und existentielle Risiken gelesen, welche die Gefahr für die Menschheit fühlbar werden lassen.

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